Atlanto-Axiale Instabilität

Klinische Symptome:

Die ersten klinischen Symptome machen sich am Anfang nur langsam bemerkbar. Im Vordergrund steht vor allem der Hinterkopf-Nacken Schmerz. Dieser wird schnell chronisch und verstärkt sich bei Kopfbewegungen. Die beginnende Schädigung des Rückenmarkes (Myelopathie) zeigt sich durch eine Schwäche an den Extremitäten, Gangunsicherheit (zuerst häufig nur im Dunkeln) und Missempfindungen an Armen und Beinen (Dysästhesien). Typisch sind Störungen der Feinmotorik an den Händen. Diese Alarmzeichen werden von den Beteiligten leider häufig nicht ernst genommen, sondern mit den rheumatischen Veränderungen an Händen und Füßen begründet. Der Beginn einer Rückenmarksschädigung wird somit oft übersehen.

Häufigkeit und Pathophysiologie:

Die Angaben über die Häufigkeit der Beteiligung der HWS bei der RA sind abhängig von den diagnostischen Kriterien sowie der Erkrankungsdauer. Nach mindestens 10 Jahren sind typische radiologische Veränderungen bei ca. 50% der Patienten zu finden. Der rheumatische Befall der HWS kann in drei Stadien eingeteilt werden (Abbildung 1). Am Anfang führt eine entzündliche Zerstörung des Bandapparates zu einer vermehrten Gleitbeweglichkeit zwischen dem ersten und zweiten Halswirbelkörper (Stadium 1: Atlanto-Axiale Instabilität). Die folgende knöcherne Destruktion der oberen Halswirbelsäule führt zu einem Höhertreten des zweiten Halswirbels in Relation zum Kopf, was als vertikale Instabilität bezeichnet wird (Stadium 2). Das dritte Stadium der sog. subaxialen Instabilität tritt meist erst im fortgeschrittenen Verlauf des rheumatischen Befalles auf. Ursächlich sind entzündliche Zerstörungen der kleinen Wirbelgelenke, sowie eine biomechanische Überlastung der mittleren und unteren Halswirbelsäule durch die Instabilität an den Kopfgelenken.

Die rheumatische Instabilität der Halswirbelsäule kann in drei Stadien eingeteilt werden. Stadium I: Horizontale Instabilität zwischen 1. und 2. HWK (atlantoaxiale Subluxation). Das Ausmaß der Instabilität wird durch die Messung der Distanz zwischen vorderem Atlasbogen und der Densspitze bestimmt (Atlanto-Dentale-Distanz = ADD). Stadium II: Das MRT der HWS zeigt den relativen Hochstand des Dens im Verhältnis zum Kopf. Dies führt zu einer Einengung des Austrittspunktes für das Rückenmark an der Schädelbasis (Foramen magnum). Stadium III: Durch die mechanische Überlastung kommt es zur Verschiebung der einzelnen Halswirbel gegeneinander („Treppenphänomen“). Die Instabilität betrifft jetzt die gesamte HWS (subaxiale Subluxation).

Die Entwicklung einer Rückenmarksschädigung (zervikale Myelopathie) ist prinzipiell in jedem Stadium der Erkrankung möglich. Für den weiteren Verlauf der Erkrankung ist die Entstehung einer solchen Myelopathie von entscheidender Bedeutung, da die rheumatisch bedingte Rückenmarksschädigung ohne chirurgische Behandlung häufig zu einer raschen Zunahme der neurologischen Ausfälle mit Verlust der Gehfähigkeit führt.

Diagnostisches Vorgehen:

Ein großes Problem der frühzeitigen Diagnostik einer rheumatisch bedingten zervikalen Instabilität ist darin begründet, das viele Patienten anfangs nur wenige Symptome zeigen. Die klinische Untersuchung durch den Arzt ist darüber hinaus häufig nicht eindeutig. Erste Schädigungen des Rückenmarkes können am besten durch eine detaillierte neurologische elektrophysiologische Untersuchung nachgewiesen werden (evozierte Potentialmessung: sensibel (SSEP) und motorisch (MEP)).

Bildgebung:

Als Screeninguntersuchung ist bei allen Patienten nach der Diagnosestellung einer RA eine seitliche Funktionsaufnahme in Flexion notwendig. Eine normale seitliche Röntgenaufnahme ist nicht ausreichend, da frühe Instabilitäten zwischen dem ersten und zweiten HWK (Stadium I) in bis zu 50% der Fälle übersehen werden können. Zur Beurteilung der atlantoaxialen Instabilität bestimmt man die vordere Atlanto-Dentale-Distanz (ADD) (Abbildung 1). Ab 5mm ist von einer relevanten Instabilität auszugehen. Zur Verlaufskontrolle sollte die Funktionsaufnahme regelmäßig wiederholt werden. In welchen Zeitabständen dies zu erfolgen hat, muss vom individuellen Verlauf abhängig gemacht werden. Nach unserer Erfahrung sind bei den meisten Rheumapatienten zweijährliche Kontrollen ausreichend. Bei einer mutilierenden Form der RA oder bei schlechtem Ansprechen auf die Basistherapie sollten die Kontrollabstände kürzer gewählt werden. Nur beim Nachweis einer Instabilität müssen ergänzende Röntgenaufnahmen zur weiteren Abklärung des Befundes durchgeführt werden. Stellt sich die Frage einer OP-Indikation, ist zur operativen Planung ein MRT notwendig. Eine routinemäßige MRT-Untersuchung der HWS bei Rheumakranken ist nicht sinnvoll.

Konservative Therapie:

Bei der Therapie der rheumatischen Halswirbelsäule ist es wichtig zwischen der Behandlung von Symptomen und der Beeinflussung des weiteren Krankheitsverlaufes zu unterscheiden. Die konservative Therapie orientiert sich in erster Linie an der Besserung von subjektiven Beschwerden der Patienten. Viele Therapieformen sind nicht spezifisch für die Halswirbelsäule, sondern wenden sich an das gesamte Krankheitsbild der RA.  Patientenaufklärung: Vor der Einleitung jeglicher Therapie, konservativ oder operativ, sollte die ausführliche Aufklärung des Patienten stehen. Nach eigener Erfahrung besteht bezüglich der rheumatischen Halswirbelsäule ein großes Informationsdefizit bei den meisten Patienten. Neben der speziellen Anatomie der Halswirbelsäule und den spezifischen Veränderungen im Rahmen der rheumatischen Erkrankungen, sollten die Patienten vor allem über sinnvolle Verhaltensweisen im Alltag unterrichtet werden (z.B. Vermeidung starker Flexionsbewegungen des Kopfes bei einer vorliegenden Instabilität). Gleichzeitig ist es wichtig die Rheumapatienten über Alarmzeichen einer beginnenden zervikalen Myelopathie zu informieren (z.B. neu aufgetretene Gangunsicherheit im Dunkeln).

Physiotherapie:

Die physiotherapeutische Behandlung der rheumatischen HWS ist im Zusammenhang mit der Behandlung des gesamten Krankheitsbildes zu sehen. Insbesondere im Frühstadium einer Instabilität stehen die spezifischen HWS-Probleme häufig nicht im Vordergrund. Zervikal bedingte Schmerzen werden in erster Linie über einen erhöhten Muskeltonus vermittelt, so dass die Muskelentspannung eine wichtige Therapieform darstellt. Gleichzeitig sollten vor allem isometrische Übungen zur Stärkung der tiefen Muskulatur im Bereich der oberen HWS (Flexion, Extension und Rotation) geübt werden. Bei dem Training der größeren Nacken- und Schultergürtelmuskulatur sind Übungen in aktiver Flexion und maximaler Rotation zu vermeiden.

Ruhigstellung:

Die Frage nach der Notwendigkeit einer Ruhigstellung mittels Halskrawatte ist für die meisten Rheumapatienten von großer Bedeutung. Der geringe Tragekomfort steht dem Bedürfnis entgegen, durch einen äußeren Schutz einer weiteren Schädigung vorbeugen zu können. Prinzipiell kann eine äußere Ruhigstellung der HWS zu keiner dauerhaften Stabilisierung einer rheumatischen Instabilität führen. Die Indikation zur Verordnung einer Halskrawatte beschränkt sich somit auf die Behandlung von Schmerzen. Dabei ist es wichtig auf eine ausreichende Festigkeit der Krawatte zu achten. Auch der psychologische Effekt einer „schützenden Krawatte“ ist nicht zu unterschätzen und sollte trotz mangelnder wissenschaftlicher Begründung im konservativen Therapiekonzept berücksichtigt werden.

Schmerztherapie:

Die symptomatische Behandlung von Schmerzen aufgrund einer zervikalen Instabilität erfolgt nach den üblichen Kriterien einer Schmerztherapie beim Rheumapatienten. Ergänzend können lokale Cortisoninjektionen an den schmerzhaften Stellen der Nacken- und Kopfmuskulatur durchgeführt werden.

Basistherapie:

Die Optimierung der Basistherapie kann ebenfalls zu einer Verringerung der zervikalen Beschwerden führen. Weitaus wichtiger ist jedoch, dass von einer frühzeitigen und effektiven medikamentösen Therapie auch eine positive Beeinflussung des natürlichen Krankheitsverlaufes an der HWS zu erwarten ist.

Operative Therapie: Indikation:

Die Frage des richtigen Zeitpunktes einer operativen Behandlung ist umstritten. Eindeutig ist die Indikation beim Auftreten einer neurologischen Schädigung, sowie bei anhaltenden starken Schmerzen. Aus unserer Sicht besteht darüber hinaus eine OP-Indikation bei elektrophysiologisch nachgewiesener Rückenmarkschädigung (pathologisches SSEP und MEP), sowie bei radiologisch gesicherter Zunahme einer bestehenden Instabilität. Die Frage einer prophylaktischen Operation bei klinisch stummer, aber radiologisch erkennbarer atlantoaxialer Instabilität (Stadium 1) kann noch nicht eindeutig beantwortet werden. Aktuelle klinische Studien zeigen einen Rückgang des entzündlichen Gewebes durch eine stabilisierende Operation. Dabei scheint nach erfolgreicher Versteifung der atlantoaxialen Instabilität auch eine Zunahme der weiteren knöchernen Zerstörung auszubleiben. Allerdings ist auch ohne Operation ein Stillstand der rheumatischen Destruktion möglich. Eine solche Indikation ist somit individuell mit dem Patienten zu besprechen, wobei neben der persönlichen Erfahrung des Operateurs auch der spezielle Krankheitsverlauf eine wichtige Rolle spielt.

Operationstechniken: Atlantoaxiale Fusion:

Hierunter versteht man eine Versteifungsoperation zwischen dem 1. und 2. HWK (Abbildung 2). Diese ist möglich im Stadium 1 der Erkrankung, wenn also noch keine vertikale Instabilität oder relevante Zerstörung der Kopfgelenke vorliegt. Die Operationstechnik der Wahl ist die beidseitige Verschraubung der atlantoaxialen Gelenke. Zusätzlich wird zwischen dem hinteren Atlasbogen und dem Dornfortsatz des zweiten HWK ein Knochenspan aus dem Beckenkamm angelagert.

Abbildung 2:

Postoperatives Röntgenbild nach einer Versteifungsoperation zwischen dem ersten und zweiten Halswirbelkörper (atlantoaxiale Fusion). Die Stabilisierung erfolgt mit zwei Titanschrauben, welche durch die Gelenkverbindung der Wirbelkörper eingebracht werden (transartikuläre Verschraubung). Der Knochenspan aus dem Beckenkamm wird mit einem Titankabel zwischen dem hinteren Bogen des ersten und dem Dornfortsatz des zweiten HWK befestigt.

Okkzipitozervikale Fusion:

Wenn die Versteifungsoperation den Hinterkopf mit einschließt, sprich man von einer okkzipitozervikalen Fusion (Abbildung 3). Eine solche Operation ist notwendig, wenn die rheumatische Instabilität bereits zu einer knöchernen Zerstörung der Kopfgelenke geführt hat (Stadium II) oder die untere HWS zusätzlich betroffen ist (Stadium III). Operationstechnisch wird die HWS mit Schrauben und Stäben gegen den Hinterkopf stabilisiert. Damit sich die Implantate nicht frühzeitig lockern, wird zusätzlich Knochen vom hinteren Beckenkamm an der HWS angelagert (Fusion).

Abbildung 3:

Das linke Röntgenbild zeigt eine komplexe rheumatische Instabilität der HWS mit Beteiligung der Kopfgelenke und der unteren HWS (Stadium III). Bei der Operation wird der Hinterkopf mit der gesamten HWS in best möglicher Position stabilisiert (C0 bis A17). Die Fixation erfolgt mit Titanschrauben und Stäben. Zusätzlich wird Knochen vom Beckenkamm angelagert.

Transorale Dekompression:

Bei dieser Operation erfolgt der operative Zugang durch den Mund (transoral). Die Indikation besteht, wenn die verschobene Spitze des zweiten HWK (Dens) weiterhin auf das Rückenmark drückt. Mit der Verbesserung der Operationstechniken von hinten ist dieses aufwendige Verfahren beim Rheumapatienten aber nur noch selten notwendig.

Quelle: Klinikum Dortmund